Auswirkungen der Garnelenfischerei auf Habitate und Lebensgemeinschaften im Küstenmeer der Norddeutschen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen (CRANIMPACT)

Heino Fock*, Robin Dammann, Finn Mielck, Rebecca A.M. Lauerburg, Alfonso López González, Pernille Nielsen, Margarethe Nowicki, Matthias Pauli, Axel Temming

*Corresponding author for this work

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Abstract

Untersuchungskonzept
Das Vorhaben CRANIMPACT untersuchte die Auswirkungen der Garnelenfischerei mit Baumkurren auf 2 vorherrschende, fischereilich relevante Lebensraumtypen im Sublitoral der Wattenmeer Nationalparke der Norddeutschen Bundesländer. In zwei komplementären Ansätzen wurden die kurzfristigen Auswirkungen nach einem experimentellen Befischungsereignis und die chronischen Veränderungen durch anhaltenden Fischereidruck unterschiedlicher Intensität untersucht.
Im experimentellen Ansatz wurden die kurzfristig wirkenden, kleinskaligen Effekte auf die Endo- und Epifauna nach experimenteller Befischung sowie deren Effektdauer auf insgesamt 4 Untersuchungsflächen untersucht (A, B, B2 im Prielsystem des Sylter Rückseitenwatts; C im Prielsystem bei Norderney). Die Experimente wurden als Before-After-Control-Impact-Studien (BACI) ausschließlich im Habitattyp Fein- und Mittelsand mit Rippelstruktur durchgeführt (ein ausreichend großes Lanice-Feld konnte nicht beprobt werden).

Die großskaligen und chronischen Auswirkungen der Fischerei wurden entlang von Gradienten der Fischereiintensität im niedersächsischen, schleswig-holsteinischen und dänischen Wattenmeer ermittelt. Hierzu wurden u.a. Methoden erarbeitet, kleinräumige Unterschiede im Fischereiaufwand anhand von Satelitendaten in Prielsystemen darzustellen. Die Gradientenanalyse (GA) fand sowohl auf Fein- und Mittelsand mit Rippelstruktur als auch auf Feldern mit Besiedlung des Bäumchenröhrenwurms Lanice conchilega allein für die Endofauna statt. Alle Untersuchungen wurden im Sublitoral durchgeführt. Insgesamt wurden 427 En- dofaunaproben und 52 Epifaunaproben aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 untersucht.
Ergebnisse
In die Gradientenanalyse (GA) gingen Ergebnisse aus 28 Stationen ein. Als Referenzgebiet entfielen 5 Standorte auf Priele im dänischen Wattenmeer, in denen Fischerei seit 1977 verboten ist. Die Gemeinschaftsanalyse aller Stationen der GA ergab 2 Hauptassoziationen: Eine Bathyporeia spp.-Assoziation auf Fein- und Mittelsand und eine Lanice conchilega-Assoziation auf Substraten mit erhöhtem Schlickanteil. In beiden Assoziationen konnten Unterassoziationen identifiziert werden, die sich anhand der Fischereiintensität differenzieren ließen. Neben der Fischereiintensität übte nur der Schlickgehalt im Sediment einen signifikanten Effekt auf die Faunenzusammensetzung aus. Die explizit einbezogene natürliche Störung war nicht signifikant. Allerdings erklärten diese zwei Faktoren lediglich knapp 20 % der Gesamtvariabilität der Endofaunagemeinschaft. Hiervon entfielen 10.3 % Erklärungsanteil auf die Höhe des Schlickgehaltes und 8.9 % auf Unterschiede in der Fischereiintensität. Die hohe Ähnlichkeit einiger Stationen aus dem Fischereiverbotsgebiet im dänischen Wattenmeer mit Stationen mit niedriger Fischereiintensität kann so interpretiert werden, dass die Endofauna gegenüber niedriger Fischereiintensität resilient ist, was mit der Anpassung an die vorhandene, vergleichsweise hohe natürliche Störung im Wattenmeer erklärt werden kann. Bei den Stationen mit hoher Fischereiintensität hingegen stieg in beiden Assoziationen die Gesamtbiomasse der Endofauna mit der Fischerei an. Der signifikant höchste Wert mit 39.5 g aschefreiem Trockengewicht pro m² wurde in der intensiv befischten Lanice conchilega-Unterassoziation bei rund 100 Stunden Fischerei pro Jahr und km² gemessen. Die 'biological-traits ́ Analyse zeigte, dass sich an diesen Stationen mit hoher Fischereiintensität auch die Eigenschaften der Lebensgemeinschaften änderten und die Abundanz kleiner Arten (< 1 cm Körpergröße) abnahm, während die Abundanz größerer räuberischer Arten zunahm.

Die Störung in den Before-After-Control-Impact - Experimenten (BACI) wurde durch 4-faches Überfischen mit einer kommerziellen Garnelenkurre hergestellt, um sicherzustellen, dass die Fläche des Experiments von einer kurzfristigen, aber erheblichen fischereilichen Störung betroffen ist. Für die Endofauna konnte durch ANOSIM-Analyse eine signifikante räumlich-zeitliche Variabilität festgestellt werden. Für einzelne Variablen bzw. Taxa wurden zudem signifikante Unterschiede zwischen den experimentell befischten- und Kontrollflächen festgestellt. Die Unterschiede waren in den wenigsten Fällen konsistent über alle Experimente. In der Summe aller betrachteten Taxa sowie Gesamtanzahl und Biomasse aller analysierten Tiere in den jeweiligen Experimenten konnte keine statistische Häufung von signifikanten Ergebnissen für die Unterschiede zwischen Störung und Kontrolle nach der experimentellen Befischung festgestellt werden (p=0.23). Dort wo signifikant negative Abundanzeffekte auftraten, verursacht durch Änderungen u.a. bei Bathyporeia spp. oder Spioniden, lag die modellierte Effektdauer im Bereich von 13-20 Tagen und kann damit als kurzfristig bezeichnet werden.
Die Epifauna war durch wenige Arten mit hoher Stetigkeit gekennzeichnet, also Arten die in fast jeder Probe auftauchten. In den BACI-Experimenten konnte im Gegensatz zur Endofauna keine signifikante kleinskalige Variabilität in den ungestörten Proben nachgewiesen werden. Gründe dafür liegen einerseits in der hohen Stetigkeit des Artinventars, aber auch in der geringen Probenanzahl, die sich aus dem vergleichsweise großen Raumbedarf für die Hols mit der Baumkurre ergibt. Es lag ebenfalls keine statistische Häufung von signifikanten Testergebnissen für den Unterschied zwischen Kontrolle und Störung vor. Einzeleffekte auf Art-niveau wurden für Crangon crangon und Asterias rubens nachgewiesen. Im Experiment B2 vor List wurde zusätzlich der sog. "scavenger-Effekt", also das Einwandern epibenthischer, aasfressender Arten nach der fischereilichen Störung, untersucht. Ein solcher Überkompensationseffekt durch Nahrungsopportunisten konnte nicht nachgewiesen werden.

Schlussfolgerungen
Die engmaschigen Probennahmen aus den Experimenten zeigten, dass die untersuchten Lebensraumtypen durch erhebliche kleinskalige Variabilität der vorherrschenden Lebensgemeinschaften gekennzeichnet sind, die die Detektion von Fischereiauswirkungen erschwerten. Für einzelne Parameter bzw. Arten sowohl der Endo- wie auch Epifauna konnten dennoch signifikante Einflüsse durch die experimentelle Befischung nachgewiesen werden. In der Gesamtschau schlug sich dies allerdings nicht in einer statistisch signifikanten Häufung von Effekten durch fischereiliche Störung nieder. Dort, wo Effekte auf Artebene gemessen wurden, lag die modellierte Effektdauer zwischen 13 und 20 Tagen. In der zusammenfassenden Meta-Analyse aller Experimente bestätigten sich die Auswirkungen der Fischerei für die Variablen Gesamtabundanz und -Biomasse der Endofauna, sowie für Crangon crangon bei der Epifauna. In der Gesamtschau konnte keine statistisch signifikante Häufung von Effekten durch fischereiliche Störung gemessen werden. Dort, wo Effekte auf Artebene gemessen werden konnten, lag die berechnete Effektdauer zwischen 13 und 20 Tagen. Passend zu diesen Ergebnissen erwiesen sich die Gemeinschaften in der Gradientenanalyse (GA) bei niedrigen Fischereiintensitäten als resilient.
Ersteres kann als Anpassung an die vergleichsweise hohe natürliche Störung im Wattenmeer und durch kleinskalige lokale Austauschprozesse der Driftfauna zwischen gestörten und ungestörten Bereichen interpretiert werden, die mögliche Effekte der Garnelenfischerei überlagert haben. Bei höherer Fischereiintensität traten in der Gradientenanalyse Verschiebungen in den Lebensgemeinschaften zu sog. „high fishing effort-Subassoziationen“ auf. Der Übergang zu diesen Gemeinschaften wurde bei einer Fischereiintensität von 19.7 bis 23.2 Stunden pro Jahr und km2 beobachtet, entsprechend einer etwa 1.5maligen Überfischung pro Jahr. Aus der Gradientenanalyse kann der Fischereieffekt auf die Endofaunazusammensetzung insgesamt mit 8.9 % angegeben werden.

Vor dem Hintergrund der heterogenen Verteilung der Fischereiintensität in Prielsystemen und den für die Wiederbesiedelung essentiellen lokalen Austauschprozessen zwischen gestörten und und ungestörten Bereichen kann geschlossen werden, dass sich die Benthosgemeinschaften auf Fein- und Mittelsand mit Rippelstruktur in unbefischten und leicht befischten Prielbereichen in einem resilienten Zustand befinden. Inwieweit die heute beobachteten Gemeinschaften durch die mehr als hundertjährige fischereiliche Nutzung der Nordsee auch ein Ergebnis dieser Nutzung sind, kann mit den Forschungsansätzen aus CRANIMPACT nicht beantwortet werden, ebensowenig wie die Frage nach den fischereilichen Auswirkungen auf andere, seltene oder bsonders sensible Habitate. Der Einfluss der Fischerei ist immer ein Ergebnis der speziellen Kombination von Fischereigerät, Lebensraum und Artgemeinschaft und ist nicht unmittelbar übertragbar auf andere Kombinationen.
Original languageGerman
Place of PublicationBrauschweig, Germany
PublisherJohann Heinrich von Thünen-Institut
Number of pages240
ISBN (Electronic) 978-3-86576-267-2
DOIs
Publication statusPublished - 2023
SeriesThünen Report
Number107
ISSN2196-2324

Keywords

  • Auswirkungen von Fischerei
  • Nordseegarnele
  • Benthische Habitate
  • Wattenmeer
  • Endofauna
  • Epifauna

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